Runen – die verschiedenen Futharke

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(Bildquelle: Universalgeschichte der Schrift von Harald Haarmann)

Die Runenschrift

(Aus: Universalgeschichte der Schrift von Harald Haarmann)

Die alpinen Schriften galten lange als tote Zweige in der Entwicklung der Alphabet-Schriften, denn anscheinend hatten sie nach dem Vordringen der Lateinschrift in Norditalien keine Bedeutung mehr. In diesem Jahrhundert hat die schriftkundliche Forschung eine Entdeckung gemacht, wonach den alpinen Schriften im Gegenteil eine Schlüsselrolle bei der Entstehung eines Schriftsystems zugesprochen wird, das einst weit verbreitet war, aber im Verlauf des Mittelalters vom lateinischen Alphabet verdrängt wurde, nämlich den germanischen Runen. Lange glaubte man, die Runen wären nach dem Vorbild des griechischen Alphabets in dem von Goten bewohnten Küstengebiet des Schwarzen Meeres entstanden und hätten sich von dort aus nach Norden verbreitet. Diese Annahme ist nicht stichhaltig, weil die Goten erst im 3. Jahrhundert n.Chr. griechische Städte wie Olbia oder Tyras erobern und mit der griechischen Kultur zu einer Zeit vertraut werden, als die Runenschrift bereits von anderen Germanen verwendet wird. Auch die Herleitung aus dem lateinischen Alphabet ist chronologisch bedenklich, denn die vermutete Abzweigung des Runen-Alphabets aus der lateinischen Kapitalschrift des 2. oder 3. Jahrhunderts n.Chr. durch südwestgermanische Stämme am Rhein oder an der oberen Donau liegt zeitlich ebenfalls später als die ältesten Runeninschriften (zur Geschichte der älteren Forschung Jensen 1969, 556ff.)

Erst mit der kulturhistorischen und schrifttypologischen Interpretation des ältesten bisher bekannten Denkmals der germanischen Runenschrift öffnete sich der Weg für eine Klärung des Herkunftsproblems. Diese älteste Runeninschrift findet sich auf einem Bronzehelm aus Negau (Steiermark), der in das 2. Jahrhundert v. Chr. datiert wird (Abb.320). Die Sprache ist germanisch, die Schriftzeichen sind identisch mit denen des alpinen Alphabets. „In jenen Tochteralphabeten des Etruskischen, Enkelalphabeten des Griechischen, in denen sich der Einfluss der lateinischen Schrift mehr und mehr geltend machte, finden wir Besonderheiten der Runenschrift wieder und klare Übereinstimmungen, Kongruenzen und Ähnlichkeiten im Zeichengut (KLINGENBERG 1969, 177). Der Norweger C.Marstrander (1928) und der Finnland-Schwede M. Hammarström(1929) formulierten eine nach ihnen benannte Hypothese, wonach alpengermanische Stämme eine alpine Version des Alphabets bereits um 300 v. Chr. kennen gelernt hatten. Nach dem Vorbild der alpinen Schrift wäre das Runenalphabet entstanden, das seit Beginn unserer Zeitrechnung gemeingermanisch verbreitet war (Abb. 321). Bereits in der ältesten Version der Runenschrift fallen die drei Zeichen für F, R und B auf, die sich aus einer frühen Beeinflussung der alpinen Schrift durch das Lateinische erklären.

Während das Alphabet nach den beiden ersten griechischen Buchstaben Alpha und Beta benannt wurde, ist der Name der Runenschrift auf der Basis der ersten sechs Buchstaben (F, U, TH, A, R, K) Futhark. Es sind zwei verschiedene Runenalphabete zu unterscheiden: das ältere, 24 Zeichen umfassende gemeingermanische Futhark, das in der Zeit zwischen dem l. und 8.Jahrhundert in Gebrauch war, und das jüngere, nur aus 16 Zeichen bestehende nordische Futhark, das zwischen dem 9. und l2.Jahrhundert verwendet wurde (Abb.322) Das komplexeste aller Runenalphabete war das angelsächsische, das zunächst 28 Zeichen umfaßte und später auf 33 Zeichen erweitert wurde (Abb.323) Bis zum Beginn des 8.Jahrhunderts war diese Schrifart in Gebrauch, die man aus rund 60 Inschriften aus England und Altfriesland kennt.

Offensichtlich wurde das Schreiben in alter Zeit von einem kleinen Kreis schriftkundiger Runenmeister als geheime Kunst gehütet, denn es finden sich kaum mehr als 220 Inschriften im 24-Runen-Alphabet. Weitaus häufiger wurde das nordische Futhark gebraucht, denn es sind über 5000 Inschriften (davon etwa 3000 aus Schweden) in diesem jüngeren Alphabet erhalten. Die Fundorte der Runeninschriften verteilen sich über ein enormes Gebiet, das sich im Norden bis Island und Grönland, im Süden bis nach Jugoslawien (Sarajevo) und in die rumänische Tiefebene, im Westen bis zur Atlantikküste und im Osten bis zum Ladogasee und an den Flußlauf des Dnepr erstreckt; d. h. Zeugnisse der Runenschrift sind überall dort nachzuweisen, wo früher germanische Stämme gesiedelt haben, und bis wohin die Wikinger später auf ihren Fahrten gelangten.

Die Reihenfolge der Buchstaben des Futhark ist eigenwillig und findet keine Parallele in irgendeiner anderen Alphabetschrift. Auch die Namen der Schriftzeichen sind offensichtlich der Ausdruck einer germanischen Symbolik, die dem modernen Betrachter verschlossen bleibt. Die Namengebung ist akrophonisch, wobei der Anfangslaut des Namens dem Lautwert des betreffenden Runenzeichens entspricht. Erhalten sind die Runennamen aus so genannten Runengedichten in nordischer und angelsächsischer Fassung, aber nur für die Zeichen des jüngeren Futhark. Allerdings lassen sich die Namenformen auch für die gemeingermanische Runenschrift rekonstruieren (Abb.325). Nach ihrer Bedeutung zeigen diese Namen eine Beziehung zu Naturphänomenen, zu Tieren, Pflanzen und zu göttlichen Wesen. Diese Eigenart der Buchstabenbenennung ähnelt der keltischen Namengebung für die Zeichen der Ogham-Schrift (-> lateinischer Schriftkulturkreis). Die Beziehung zum keltischen Kulturkreis zeigt sich auch in der Überlieferung, wonach Runen – ebenso wie Oghamzeichen geheimnisvoll waren. Der Ausdruck Rune (urgerman. *runo, altnord. rún, altengl. run, althochdeutsch runa, mittelhochdeutsch rûne) bedeutet Geheimnis, Mysterium und findet im altirischen run – Geheimnis, geheimnisvolle Kunde – eine lautverwandte wie bedeutungsmäßige Entsprechung.

Die Runen waren – besonders in der älteren Zeit – ein esoterisches Mittel mystisch orientierter Kommunikation, wobei die Idee des Schreibens durchaus nicht im Sinn der Übermittlung profaner Information verstanden wurde. Der Sinn vieler Runeninschriften bleibt dunkel, auch wenn man sie Wort für Wort übersetzen kann. Das Lesen von Runen war wohl nicht im modernen Sinn des Ausdrucks als Assoziation von Lautzeichen und Bedeutungsinhalten zu verstehen, sondern es ging um ein echtes Entziffern, um ein Ausdeuten und vielschichtiges Interpretieren von Texten. So wird der Leser etwa in der Inschrift auf der silbernen Fibel von Charnay im alten Burgund aufgefordert: rAp runaR pAR rAkinukutu (deute (errate) die Runen, die von göttlichen Mächten stammenden). Durch die Vordergründigkeit mancher Lesarten getäuscht hatte man früher angenommen, die Runen wären eine Gebrauchsschrift gewesen, und durch die Sprache wären profane Mitteilungen ausgedrückt worden. Ein Beispiel für eine solche Fehlinterpretation ist die moderne Deutung der Inschrift auf einem der Goldhörner von Gallehus (in der Nähe von Tonder, Dänemark), die um 400 n.Chr. hergestellt wurden (Abb.326).

KRAUSE (1966, 9), zählt die sch1ichte Herstellerinschrift zur kleinen Zahl derjenigen Runentexte mit eindeutig profanem Sinn. An der Schlichtheit des Textes selbst gibt es sicher nichts zu deuten, wohl aber öffnen sich dem Interpreten viele Möglichkeiten einer hintergründigen Auslegung des Sinns, wenn die Symbolik der mit den Buchstabenzeichen assoziierten Zahlzeichen sowie die Kompositionstechnik der Bilder und magischen Symbole berücksichtigt werden. Die Zahlensymbolik der Lautschrift tritt virtuos in Erscheinung. Aus- und nachzählbar für den Betrachter des Runenhorns war eine gleichzahlige Symbolik im Bildwerk; aus- und nachzählbar die DREIZEHN Silben der Langzeile oder die zweimal DREIZEHN auffällig doppelstrichig und quergeriefelt dargestellten Runenzeichen auf dem Runenring rund um das Goldhorn. Die schlechthin vollkommene Mathematizität aber der Runenschrift konnte und sollte wohl auch nie irgendeinen Uneingeweihten ansprechen. Weist uns die Kenntnis, Runen zu lesen, in die soziale Oberschicht der 24-Runen-Zeit, so das Vermögen, diese Runeninschrift aus der Zeit um 400 n. Chr. zu lesen, in einen engen oder engsten Kreis von Eingeweihten, denen dieses unerhört kostbare, viele Pfund schwere Goldhorn einmal heiliges Gerät gewesen war. (KLINGENBERG 1969, 204)

Die Runeninschriften haben recht unterschiedliche Länge. Es gibt solche, die nur aus ein oder zwei Zeichen bestehen. Andererseits sind Längere Inschriften, in denen über hundert Zeichen vorkommen, selten. Dies trifft auf nur drei urnordische Steininschriften zu. Die Zahl der umfangreichen Inschriften im jüngeren Runenalphabet dagegen ist wesentlich größer. Der längste, bisher bekannte Text in Runenschrift auf dem Stein von Rök in Südschweden umfasst ungefähr 750 Zeichen (Abb.327).

Nach seinem Inhalt gehört dieser Runentext zur germanischen Gattung der Merkdichtung. Gleichzeitig ist die Inschrift des Röksteins ein hervorragendes Beispiel für die Qualität der kunstvollen Poesie in nordischer Sprache. Das Schrifttum im jüngeren Futhark war flexibel genug, sich inhaltlich dem tief greifenden weltanschaulichen Wandel von der heidnischen zur christlichen Ara anzupassen. In der Spätphase der Runen-Zeit (seit dem 10.Jahrhundert) entstehen auch christliche Texte in Futhark. Die Verwendung der Runen im christlichen Skandinavien ist aber eine Übergangserscheinung, und bereits im l3.Jahrhundert hat die Lateinschrift das traditionelle Runenalphabet überall verdrängt.

Ruth Uhl